„Jetzt bin ich erstmal für 10 Tage zuhause, und wie habe ich mich im Krankenhaus nach den schwierigen Tagen über Weihnachten darauf gefreut! Endlich mal wieder das essen, worauf ich Lust habe… “, geht es mir durch den Kopf, als ich nach der langen Zeit in der Klinik wieder in meiner vertrauten Umgebung bin.
Die jetzt geltenden Regeln sind noch um einiges strenger als die Regeln des letzten „Heimaturlaubes“: Alle Topfpflanzen müssen aus dem Wohn- und Schlafbereich entfernt werden, weil sich in der Erde Pilze befinden, die in die Atemluft gelangen. Meine Haut ist durch die Chemotherapie sehr dünn geworden, eine reichhaltige spezielle Hautcreme sorgt für den entsprechenden Schutz nach dem täglichen Duschen. Ich soll direkte Sonneneinstrahlung komplett meiden, was im tiefsten Winter kein Problem darstellt. Auch Menschenansammlungen und Großveranstaltungen soll ich nicht aufsuchen, um mögliche Infektionen zu vermeiden. Selbst bei Kontakt mit einzelnen Menschen aus dem vertrauten Umfeld soll ich eine Atemschutzmaske tragen. Auch Arbeiten im Haus (Staubsaugen, Mülleimer entleeren, Gemüse schälen…) und Garten sind wegen möglicher Keime und dgl. tabu. Die Gegenstände, die ich berühre, sollen möglichst oft desinfiziert werden.
Ich darf auch kein Leitungswasser, dafür aber abgekochtes Wasser oder Mineralwasser mit Kohlensäure trinken. Die Verpackungen aller für mich bestimmten Lebensmittel müssen von außen komplett desinfiziert und gesondert im Kühlschrank gelagert werden. Jeden Tag muss ich meine körpernahen Kleidungsstücke wie auch die Bettwäsche wechseln. Die größte Gefahr für mich in dieser Zeit wäre, dass ich mir noch einen Keim vor der Knochenmarktransplantation einfange oder mich mit irgendetwas anstecke. Daher gehe ich nicht ohne Maske vor die Tür.
Meine Fitness soll ich weiterhin steigern, dabei aber mit der entsprechenden Vorsicht vor einer Überbelastung vorgehen. In den zehn Tagen daheim gehe ich viel spazieren und kräftige meine Beinmuskulatur durch tägliches Treppensteigen. Meine vom Krankenhaus angeordneten gymnastischen Übungen absolviere ich fast täglich.
Die 100 Desinfektionstücher (Descosept Sensitive Wipes), die mir aus der Uniklinik mitgegeben wurden, kommen am letzten Tag zuhause zum Einsatz. Alle Gegenstände, die ich auf die für mich neue Station „0123“ (Holland) mitnehme, müssen gründlichst desinfiziert werden. Jeder Bleistift, jedes Kabel, alles muss gereinigt und in eine sterile Plastiktüte verpackt werden, die wiederum von außen desinfiziert werden muss. Das Gleiche gilt für Kleidungsstücke aller Art, selbst Schuhe müssen abgewischt werden. Bücher sind verboten, es sei denn, sie sind neu und eingeschweißt.
Glücklicherweise verläuft mein Aufenthalt zuhause ohne besondere Erschwernisse, ich fühle mich fit und gesund und freue mich, dass ich keine Beschwerden verspüre. Am vorletzten Tag unternehme ich mit meiner Frau einen Ausflug an die Innerste Talsperre im Harz. Ein Anruf aus der Uniklinik Göttingen erreicht mich dort am Wasser mit der Mitteilung, dass die Stammzellen des Spenders gesichert und auf dem Weg zu mir sind. Diese Nachricht beruhigt mich und lässt mich optimistisch in die Zukunft blicken.
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